Irgendwann kommt der große Knall /
Im Dunstkreis der Verschwörung
20. Juli 1944: Antje Vollmer und Lars-Broder Keil widmen sich den wenig bekannten Randfiguren der Widerstandsgruppe um Stauffenberg
von Herbert Ammon

Am 3. April 1944 schrieb Kurt Freiherr von Plettenberg, Forstwirt im Dienst des Hauses Schaumburg-Lippe und der Hohenzollern, an seinen Patensohn, es komme darauf an, „daß man mit Ernst prüft, zu welcher inneren Haltung in ihrer Beziehung zueinander, in ihrem Verhältnis zum Tode – zu Gott, das liegt beides sehr nah beieinander – Christus die Menschen führen wollte“. Plettenberg, Freund des Grafen Carl-Hans von Hardenberg und häufiger Gast auf Gut Neuhardenberg, erklärte im März 1942 dem späteren evangelischen Superintendenten Horst Teichgräber: „Wir müssen Hitler umbringen.“ Axel von dem Bussche, durch einen der vielen Zufälle am Selbstmordattentat gehindert, bezeichnete ihn als seinen Mentor.

Plettenberg selbst nahm von der Überlegung, Hitler von seinem Dienstzimmer Unter den Linden gegenüber der Schinkelschen Hauptwache zu erschießen, Abstand. Sein Sohn mutmaßt, bei Mißlingen des Attentats hätte Hitler die Vernichtung der Hohenzollern sowie der anderen verhaßten Fürstenhäuser angestrebt. Am 18. Juni 1944 schrieb Plettenberg an Marion Gräfin Dönhoff von seiner Absicht, sich reaktivieren zu lassen: „Mir geht’s nur völlig gegen m. Innerstes, wenn um Ostpreußen gekämpft wird.“ Erst am 3. März 1945 wurde er verhaftet. Nach Androhung „verschärfter Vernehmung“ stürzte er sich aus dem vierten Stock des Gestapo-Hauptquartiers in der Prinz-Albrecht-Straße. Seine Frau Arianne, geborene von Maltzahn, eröffnete den Kindern erst Anfang der fünfziger Jahre die wahren Umstände des Todes.

Plettenberg gehört zu den „unbekannten Verschwörern“, denen Antje Vollmer, ehedem grüne Bundestagsvizepräsidentin, und der Welt-Redakteur Lars-Broder Keil Kurzbiographien gewidmet haben. Elisabeth Raiser, geborene von Weizsäcker, hat ein Porträt Margarethe von Ovens (1904–1991), Tresckows Büroleiterin im Berliner Heeresamt, beigesteuert. Der Titel des Buches – ursprünglich war „Die zehn Gerechten“ vorgesehen – ist irreführend. So hatte der Diplomat Albrecht Graf von Bernstorff, verhaftet am 30. Juli 1943, „mit dem 20. Juli 1944 (...) überhaupt nichts zu tun gehabt, es ist eine ganz freche vollkommen unwahre Behauptung“, wie er seiner Schwester am 15. April 1945 schrieb. Er befand sich, nach Folter und zweimal verschobener Verhandlung vor dem „Volksgerichtshof“, voll Ungewißheit im Gefängnis Lehrter Straße. In der Nacht zum 24. April wurde er mit dem Gewerkschafter Ernst Schneppenhorst und dem tatsächlich in den 20. Juli involvierten Karl Ludwig von Guttenberg von SS-Leuten abgeholt und ermordet.

Etwa 180 Männer allein aus dem militärischen Widerstand verloren nach dem 20. Juli ihr Leben. Namen wie Roland von Hößlin, Ludwig von Leonrod oder – als einer der Überlebenden – Eberhard von Breitenbuch werden in dem Buch leider nur beiläufig erwähnt. Hingegen zählte der von Vollmer porträtierte Hans -Bernd Gisevius nicht zu Stauffenbergs Gefährten, sondern machte sich noch in den dramatischen Stunden im Bendlerblock mit Vorschlägen zum Abblasen des Putsches und der bedingungslosen Öffnung der Westfront wichtig. Warum erscheint er hier? Immerhin bietet der Aufsatz aufschlußreiche Details: 1933 einer der Hitler zugeneigten Deutschnationalen, schloß Gisevius sich der Opposition an, pflegte Kontakt zu Hans Oster im Amt Canaris sowie zu Schlüsselfiguren im Polizeiapparat wie Graf Helldorf und dem als Freund bewunderten Arthur Nebe (notorisch als SS-Einsatzgruppenchef im Sommer 1941). Als Vizekonsul in Zürich fungierte er als Konfident des US-Geheimdienstlers Allen Dulles, der mit Gisevius’ schiefen Informationen Roosevelt über den Putsch und Stauffenberg zur Abkehr vom „unconditional surrender“ zu bewegen suchte. Beim Nürnberger Prozeß lobte Chefankläger Jackson Gisevius als „den einzigen Vertreter der demokratischen Kräfte in Deutschland, der hier auf der Zeugenbank seinen Bericht abgibt“. Vollmer: „Er schrieb die Version für die Zeit des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation, in die die Becks, Olbrichts, Stauffenbergs, Tresckows, Klausings etc. angeblich nicht mehr hineinpaßten.“

Historische Würdigung hatte Erich Fellgiebel, als Chef des Nachrichtenwesens für die Verschwörer unentbehrlich, längst verdient. Das Negativbild – noch im „Stauffenberg“-Film mit Tom Cruise erscheint er als betrunkene Karikatur – geht auf Gisevius zurück. Vor dem Attentat wegen lockerer Reden über die NS-Chargen bekannt, verriet Fellgiebel, noch nach der Verurteilung schwer gefoltert, „weder Namen noch Einzelheiten“. Seine Witwe beschied zwei US-Offizieren: „Wir Deutschen sind darin ja anders, wir schätzen es nicht, unsere persönlichen Dinge in der Zeitung laut auszurufen.“

Eindrückliche Porträts bietet das Buch von Stauffenbergs Ordonnanzoffizier, dem einer NS-gläubigen Familie entstammenden Friedrich Karl Klausing (ein Foto in alpiner Wintereinsamkeit ziert den Umschlag), von Heinrich Graf zu Dohna-Tolksdorf, unbeirrbarer Hitlergegner und Leitfigur der Bekennenden Kirche in Ostpreußen, von den jungen Offizieren Hans-Ulrich von Oertzen und Georg Schulze-Büttger, als „Ia/Op.“ im Stabe Tresckows, nicht zuletzt von Randolph Freiherr von Breidbach-Bürresheim (1912–1944). Im Auftrag seines Münchner Kanzleichefs Josef Müller, dem späteren CSU-Gründer, verfaßte er im Herbst 1942 drei Berichte über die Zustände in den besetzen Gebieten, an der Front und in der Etappe. Als gläubiger Katholik empörte sich Breidbach über „den verabscheuungswürdigen Militärmechanismus“ und die Brutalität der Besatzer; er hielt aber auch „die negative Einstellung des deutschen Soldaten zum Nationalsozialismus“ fest. Dazu der unnötig zeitgeistig gefärbte Kommentar Keils: „Genauso wichtig [wie Glaube und Erziehung] ist die Perspektive eines Mannes, der die Verletzung grundlegender Menschenrechte ablehnt.“

Umrahmt sind die Texte von Interviews mit Richard von Weizsäcker, dem Freund Bussches aus dem Potsdamer Infanterieregiment 9, sowie mit Ewald von Kleist. Im Zweifel mit sich selbst, wurde der 22jährige von seinem Vater Ewald von Kleist-Schmenzin zu einem Selbstmordattentat verpflichtet. Aus der Distanz der Jahre und lakonisch im Ton, gibt Kleist einen packenden Eindruck von „Widerstand“. Ja, „der Tod war ein gewaltiges Thema. Auch für uns Soldaten. Wenn Sie jung sind, finden Sie den Gedanken an den Tod nicht sehr erfreulich.“ Zur „Vorbereitung“ besuchte er mit Fritz-Dietlof von der Schulenburg im Mai 1944 einen Prozeß am „Volksgerichtshof“. Schulenburg: „Laß uns doch mal anschauen, wie der Freisler das macht!“

In früheren Zeiten hätte ein Buch wie das vorliegende in NS-fernen Familien als Geschenk zur Konfirmation oder zum Abitur gedient. In der Ideologielandschaft der Bundesrepublik wirken Leben und Tod der Gefährten Stauffenbergs seltsam anachronistisch. Die Lektüre ist gleichwohl zu empfehlen.

Antje Vollmer, Lars-Broder Keil: Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer. Hanser Verlag, München 2013, gebunden, 255 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro

Quellen:
Foto: Archivmaterial;
Text: :© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.
www.jungefreiheit.de 12/13 / 15. März 2013