Wer künftig die Rolle der Sowjetunion beim Sieg über
Nazi-Deutschland in Frage stellt, könnte mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Der
russische Präsident Dmitri Medwedew hat eine Kommission eingesetzt, die über das
richtige Geschichtsbild befinden soll. Experten und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen
haben gegen den Versuch von staatlicher Seite „Geschichte zu schreiben“ Bedenken
angemeldet.
Geheimdienstler und Beamte in Kommission
Interessant ist vor allem, wen der russische Präsident Medwedew in dieser Kommission
sehen will: Vertreter der Geheimdienste, des Nationalen Sicherheitsrates, des Außenministeriums,
der Duma und einer Reihe weitere Behörden und Institute. Vorsitzender der Kommission
wird Sergej Naryschkin, Chef der Präsidentenadministration.
Identitätsstiftender Feiertag
Wie und vor allem vor wem will dieser Kreis die russische Geschichte retten? Richtig
ist, dass der Tag des Sieges über Hitlerdeutschland, also der 9. Mai, nicht nur
der einzige landesweit von allen anerkannte Feiertag ist, er hat die Bedeutung der
sowjetischen aber auch der religiösen Feiertage längst in den Schatten gestellt.
Wer an diesem Datum rüttelt, stellt damit den einzigen identitätsstiftenden Feiertag
in Frage.
Warnung vor "Sowjet-Methoden"
Alarmiert sind in Russland vor allem die professionellen Historiker und die Vertreter
der Menschenrechtsorganisationen. Der Kampf gegen die Geschichtsfälschung sei doch
nicht Aufgabe des Staates, kritisiert Arsenij Roginski, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation
Memorial, und warnt vor einer Wiederkehr sowjetischer Methoden.
Die Arbeit dieser staatlichen Geschichtskommission werde unnütz und schädlich sein,
ist Roginski überzeugt. Themen wie etwa die völlig unzureichende Vorbereitung der
Sowjetunion auf den deutschen Überfall würden nun wohl ebenso unter den Tisch gekehrt,
wie Stalins Führungsfehler und das brutale Vorgehen der Politkommissare gegen die
eigenen Soldaten.
Auch nach außen gerichtet
Die starke Präsenz der Außenpolitiker in dieser Kommission ist aber sicher kein
Zufall. Der Präsidentenerlass richtet sich auch gegen die Ukraine, Polen und die
baltischen Staaten. Diese Länder diskutieren ja die Zeit des Weltkrieges nicht nur
unter dem Gesichtspunkt der Befreiung vom Hitlerfaschismus.
Unangenehme Geschichtsthemen
Hier kommt jetzt, nach jahrzehntelanger Tabuisierung, eben auch zur Sprache, welche
Verbrechen die Rote Armee bei ihrem Vormarsch Richtung Westen begangen hat. Es wird
auch über die Deportationen der Letten, Litauer und Esten in den Gulag geschrieben
und geforscht. Es geht um den Massenmord an polnischen Offizieren in Katyn, um die
Bewertung des Widerstandes gegen die Rote Armee in der Westukraine.
Verbot mit Konsequenzen
Diese Forschungen werden schon jetzt, so gut es von russischer Seite geht, behindert.
Wenn die Benützung dieser Materialen nun für die russische Wissenschaft verboten
wird, muss das Konsequenzen für jede Art von Geschichtsbewältigung haben.
Strafdrohungen
Darüber hinaus ist ein Gesetz in Vorbereitung, das die Relativierung faschistischer
Verbrechen unter Strafe stellt. Wer die Rote Armee nicht nur als Befreier sieht
– und da gibt es in den baltischen Staaten und der Ukraine einige – kann künftig
gerichtlich belangt werden.
Gleichschaltung erreicht Wissenschaft
Was der damalige Präsident Putin mit der Auslöschung der Opposition begonnen hat
und was sich mit der Ausschaltung der freien Presse fortsetzte, erreicht nun konsequenterweise
auch die Wissenschaft. Für viele, die sich von Präsident Medwedew eine Kehrtwende
dieser Politik gewünscht haben, ist diese Initiative eine schwere Enttäuschung.
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